Kapitel 2: Die Quelle

Das lange Schweigen endete. „Wir sind da“, sagte Wodulak und schaute zu den Sternen. Über der endlosen Wüste breitete sich das Firmament aus. 100 Tage in der sengenden Einöde lagen hinter ihnen. Tagsüber wurden sie von der Sonne gebraten, Nachts durchgefroren, jeden Tag aufs Neue. Sie kannten nur Gerüchte vom Westen: Eine Welt weiter Ebenen,  voller Wunder, Abenteuer und Gelegenheiten, den eigenen Mut zu erproben in der Dichtkunst. Wodulak sprang von seinem Pferd. „Noch dursten wir nach Flüssigkeit, waren lange unterwegs, geplagt von Kummer und Pein, ferne lag das Glück, das wir erhofften, ferne wie der Glanz der Sterne.“ Er strich sich durch seinen ergrauten Bart, von dem verkrusteter Schlamm abbröckelte. „Liegt dort unsere Heimat?“ Als er seinen Kopf wieder senkte, waren Willibald und Heinrich aus seinem Blickfeld verschwunden, nur die Pferde glotzten ihn an und senkten ihre Köpfe zum Gras. Er erhaschte noch Willibalds Zopf, der seinen Augenwinkel gerade verließ. Wollten sie ohne ihn zur Quelle? „Wartet doch auf mich.“  Zwischen den Bäumen des kleinen Uferwäldchens schimmerte der See, in den sich die Quelle ergoss. Wilibald und Heinrich rannten einen Trampelpfad hinab zum tieferliegenden Wasser, in der Meinung, ihn in einer Minute zu erreichen, aber der Weg zog sich hin und das Schimmern wollte nicht näherkommen, erst nach einer halben Stunde endete der Wald abrupt. Sie standen vor einer steilen Felskante. Darunter brodelte das leuchtende Wasser, dessen Schein den Wanderern der Wüste den Weg zur Oase leuchtet. „Wundertoll!“ Heinrich konnte nicht aufhören, in die wabernde Tiefe zu starren, schaute er genauer hin, konnte er verschiedene Farben erkennen, die sich darin wie Fischschwärme bewegten. Manchmal schossen kleine Funkelbögen auf und zerfielen in hunderten Glitzertropfen. „Es ist wahrhaft ein Wunderwasser. Ich fühle es schon in meiner Brust“, die verklemmt und eng war. Wodulak kam aus dem Palmenwäldchen. Er hatte einen Bambusstab gefunden. „Hier seht ihr eines der vielen Wunder, die diese Gegend bereithält. Die Quelle sprudelt direkt aus dem Inneren des Planeten und wird unsere Glieder wiederbeleben.“

Wodulak führte den Stab jetzt langsam zu dem leuchtenden Fluidum hinunter. Das bewegte Wasser hielt inne, verdichtete sich zu einem strahlenden Weiß und wölbte sich langsam dem Stab entgegen. Wodulak erstarrte, nichts an seinem Körper bewegte sich mehr.

Das Wasser erreichte den Stab und strömte nach oben, überzog Wodulaks Hand mit einem hauchdünnen Film und verschwand in seinem Ledermantel. Er schloss die Augen. Willibald stupste Heinrich an. „Schau dir das Gesicht des Alten an“. Eben noch hart und von den Strapazen einer langen Reise zur ernsten Miene geformt, löste es sich, eine Last fiel ab, die einen heiteren Wesenszug unterdrückt hatte. Er lächelte, von einer Lust durchdrungen, die in einem lauten Schrei vollends hervorbrach. So laut, er scheuchte die Paradiesvögel aus dem Gebüsch auf, die über den See davonstoben. Dann öffnete er wieder seine Augen.