Möbeltraum im Wald

Ein Geheimnis liegt im Wald. Ich kann mich nicht erinnern, warum ich letzte Nacht den Wald betreten habe, war es noch hell, war es auf einer einsamen Wanderung? … irre ich zwischen den krumm und schief stehenden Buchen, Kiefern und Birken umher. Über allem liegt ein Schleier, trügerische Ruhe. Ich bin der Nachtmann. Schatten meiner Selbst. Rede mir ein, wer ich bin, die Person meiner Erinnerung zerbröckelt zu Staub, zu welkem Laub, das auf dem knirschenden Waldboden landet. Ich lasse mich hinter mir, bin ganz Tier, ganz Instinkt. So geartet finde ich mich zurecht im tiefen, dunklen Wald … was für eine Lichtung? Die Lampe baumelt an einem schwarzen Kabel, das zwischen den Kiefern gespannt ist. Das gelbe, trübe, gespenstische Licht. Ich richte mich aus meiner gebückten Haltung auf und trete zwischen die Wohnzimmermöbel. Hier liegt das Geheimnis begraben, in den alten Schubladen, die immer klemmen. Ich öffne die Schranktüren und halte alte Fotografien in den Händen, lese Briefe aus einer anderen Zeit (eine andere Welt, ein anders Ich …). Ein kleines Büchlein fällt in meine Hände, das ich von Staub und Spinnenweben befreie. Darin sind kleine Dialoge aufgeschrieben, die ich mit Tieren führte, denen ich als Kind Schaden zugefügt habe. Ich spüre die Schmerzen der Fliege, der ich die Flügel nahm, der Ameisen, die ich mit meiner Lupe verkohlte. Kinder können grausam sein. WOW. Die flügellose Fliege spricht.

„Was habe ich dir getan? Warum hast du mir das angetan? Ich empfinde auch! Es war unnötig. So geht ihr mit euren Kräften um? Zu Strafe bin ich viele Male wiedergekommen und habe mich morgens auf deine Nasenspitze gesetzt, um dich zu wecken! Eure Fliegenklatsche fürchte ich nicht. Was hast du zu sagen, sprich!“

„Ich entschuldige mich. Als Menschen trennen wir früh unser Mitgefühl für unsere Umwelt, wir leben in einem Panzer, aus Selbstschutz. Vielleicht sind wir hier, um Mitgefühl zu üben, dass es sogar bis zu euch reicht? Wir glauben ja, dass Tiere nichts fühlen. Oder weniger stark. Dem ist nicht so?“

„Nein! Das hat mir weh getan und danach bin ich gestorben, denn ich konnte ja nirgends mehr hin, mein Freund. Zurück ins Seelenreich, bleibt von deiner Untat eine kleine Spur in deiner Seele zurück. Ich vergebe dir, sum sum, und fliege jetzt davon. Sehe ich nicht bezaubernd aus mit meinen neuen Flügeln?“

Ein dicker Brummer flog um mein Gesicht, landete auf einem der Schränke und schaute mich aus seinen vielen Augen liebevoll an. Die neuen Flügel schlugen auf und ab, handgroß waren sie, ein silbriges Netz, hauchdünne Membran. „Auf Wiedersehn“, summte sie und sauste zwischen den Bäumen in die Dunkelheit davon. Allein. Allein. Steig ich noch weiter in meine alten Sünden ein?

Es klemmt …