Versöhnung mit dem Künstlerkind

1.

Ich begegne dem Schatten meiner Künstlerschaft. Er hat Fett angesetzt und starrt mich entsetzt an. „Was willst du von mir?“

Er wendet sich ab, eingeschnappte Leberwurst. „Ich bin gekommen, um mich mit dir zu vertragen.“ Flüchtig sah ich seine Wunde, die er sich mit den einst so grazilen Händen zuhält. Ich weiß, diese Wunde ist der Keil, den ich zwischen uns trieb, wann, wo? es war ein schleichender Prozess der Trennung, weil ich sein Licht für einen anderen Zweck als dem Dienst an der Schönheit missbrauchte. Es tut mir leid. Ich war ein schlechter Vater für mein Künstlerkind. Licht fließt aus der schwarzen Wunde, wo es weh tut, wenn ich etwas schreiben, malen oder singen möchte. Ich möchte, Ich, Ich, es geht immer nur um dich, aber wo ist mein Platz in der Geschichte? Du hast mich gegen dein scheiss Smartphone eingetauscht, gegen Computer und Magazine und Chats und langweilige Gespräche und gegen Alkohol und Joints und Zigaretten und schmutzige Filmchen, die meine Phantasie verpesten, verschmutzen, verwirren. Du tust mir damit weh, das tut mir weh, hier, schau, dieses Loch. Mach, das es weg geht! Ich will blühen und aus der reinen Quelle der Inspiration und Poesie schöpfen und trinken. Mach, dass der Schmerz verschwindet! Kannst du das?

Abra Kadabra!

Das war alles?

Mehr fällt mir nicht ein. Aber schau!

Jetzt fließt Schaumstoff aus der Wunde, der ganze Müll, Kleister und Giftstoffe, womit ich den Schmerz zum Schweigen bringen wollte, alles raus, was die Wunde verunreinigt. Es tut mir leid! Mir tut es auch leid. Die Wunde schließt sich. Ich bin auch da, ich auch, eine sanfte Stimme, die gewaltig zu euch spricht. Ich, wir helfen euch zu versöhnen. Das Zauberwort?

Danke!

2.

Auf einer Wolke reisen die beiden durchs Land. Vater und Sohn, beste Freunde zugleich. Wohin die Reise geht? In ein Land voller Möglichkeiten. Aber vorher müssen sie einen dichten Ring vergebener Chancen, verkümmerter Pflanzen, vergessener Dinge durchqueren. Das Totenreich der abgestorbenen Phantasie.

Was diesen armseligen Schöpfungen zur Blüte fehlte? Ein liebendes Wort für die kleinen Schritte, für die kleinen Dinge, die du hervorgebracht hast. Wenn von außen keine Resonanz kam – und du es traurig fallen gelassen hast. Sie fristen hier ein Schattendasein, ich weiß, denn auch ich habe hier gelebt. Aber vor allem fehlte mir dein liebendes Wort, meine Liebe.

3.

(Achtung Sprung!) Neue Menschen im letzten Jahr. Karen, ich muss es einfach sagen, wie heilsam diese kurze Begegnung für mein weiteres Leben war. Ich arbeitete für ein paar Wochen aushilfsweise im Kindergarten und betreute eines Morgens die Kleinen in der Bärenhöhle (auch das Kind in uns müssen wir mit solchen Namen nähren, denn sie verzaubern die Welt nicht nur für die kleinen Kleinen). Und ich seh nur eine riesige Sauerei, denn sie haben mit den Fingerfarben die Stühle des Kreativraumes eingefärbt und auch die Waschbecken, wo sie sich ihre kleinen Händchen wuschen, Lila und Pink großzügig auf den Amaturen verteilt, dicke Klecksspuren im Flur, aber das schien niemanden zu stören, besonders Karen nicht, die einmal in der Woche vorbeikommt und mit den Kindern in die Bibliothek geht. Gleich begrüßt sie mich herzlich und freut sich, dass ich jetzt auch hier arbeite. Womit habe ich diese erste Wertschätzung verdient? (Richtig!) denn diese Frage, ob jemand Wertschätzung „verdient hat“, stellt sich gar nicht mehr, sie ist das Natürlichste und sollte selbstverständlich sein. Und jetzt war ich wie selbstverständlich ihr Kollege und unsere Aufgabe war es, ja, was war unsere Aufgabe, was sollten wir „mit den Kindern tun“? Wir ließen sie malen, und Karen (sie war Anfang 60 und hatte noch bezauberndes blondes Haar) nahm jedes Bild hoch, bestaunte es und sagte begeistert, „wie schön du das gemacht hast, meine liebe Adena“ und sie sagte ähnliches zu jedem Kind, und jedes Wort war so ernst gemeint, so innig ausgesprochen, dass die Kinder richtig Lust bekamen, noch ein Bild zu malen und ich bekam einen kleinen Stich im Herzen, hier passiert gerade etwas unglaublich wichtiges! „Ach ja“ sagte sie, „ich freu mich, wenn Kinder kreativ sind.“ Wir fingen an, Limmericks zu erfinden. Ach, irgendein kindischer Reim wird mir wohl doch einfallen?

Ich traf in der Schule Adena,

die kam aus der Schlittschuh-Arena.

Dort war es sehr kalt, die Schlittschuhe war´n alt,

sie kaufte sie neu für ´nen Zehner.

„Oh Adena, schau, was der Arne für ein schönes Gedicht geschrieben hat, du hast Schlittschuhe gekauft, das ist aber schön!“

Ja, genau! Diese zwanzig Minuten mit Karen zusammen in einem Raum waren eine reine Wohltat und ich freue mich für die Kinder, die vielleicht noch gar nicht erahnen, welchen Schatz sie jeden Montag für ihre Seele mitgegeben bekommen. Wo Karen das Glück hatte, so unbeschadet durch diese oft finstere Welt zu kommen und dabei im Kern ungebrochen die erste Weisheit des Lebens durch ihre pure Präsenz zu verkündet, du bist wertvoll und jede deiner Schöpfungen verdient Achtung! ist es für mich und für mich ein mühsamer Weg, es wieder zu erlernen und zu erfühlen. Diese kurze Begegnung wächst mitten im dunklen Ring als eine archtetypische Blume heran und verändert mich in der Art und Weise, wie ich auf mein eigenes Künstlertum blicke. Anders ausgedrückt:

DU verlangst von mir nicht mehr, dass ich gleich ein Genie sein muss. Du lässt mich kleine Schritte gehen und achtest jeden Schritt, auch wenn er vielleicht ein künstlerischer Fehltritt ist oder noch nicht perfekt. Oh ja, nichts sehnlicher wünsche ich mir, als dass du ein bisschen mehr wie Karen bist, nicht als Kopie, aber vielleicht muss man manchmal ein bisschen kopieren bevor man lernt, wie es aus einem selber kommt … ist das nicht … lernen?

3. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten

Seit die erste Blume im schwarzen Ring erblühte, haben sich andere eingefunden, Stimmen und Erinnerungen und Bilder, die den leiddurchtränkten Boden mit frischem Wasser reinigen, Quellwurzeln neuer Blüten, eine hügelige , bewaldete Landschaft, unser Refugium. Hier verweilen wir noch ein Stück, bevor wir ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten aufbrechen. Schon der Gedanke an diese längste Reise unseres wahren Selbst lässt mich vibrieren, ich habe Lust darauf, die Unendlichkeit zu er-schöpfen (wo immer neues Licht nachfließt). Ich danke der guten Stimme und werde dich nie wieder missen