Skizze eines inneren Bildes

Das ist wie Papier schöpfen, nur greife ich nicht aus der Pulpe, um ein Papier zu erstellen, sondern aus dem Inneren meines Körpers, dort, wo es schmerzt oder wo ein Druck oder ein Unwohlsei ist, sogleich ergibt sich ein Bild, ein Eindruck, eine Welt, die ich beschreiben kann und sogar heilen kann, indem ich dem erfühlten (körperlich resonierenden) Bild seinen eigenen Verlauf gönne. So weit! Ich beschreibe also eine sich krümmende Gestalt, durch die mehrere Metallrohre in der Mitte vertikal hindurchgehen, dort feststecken und sich ins Fleisch der Organe bohren, der Kopf jedoch ist eine Scheibe, auf der sich eine kleine, von Bergen umstandene Stadt befindet, in der man fast zu leben wünscht, so pittoresk ist der Anblick, vergisst man den Schmerz, der in der Tiefe das Wohlergehen des Stadtträgers mindert. So weit, so gut. An dem Punkt, wo die verschiedenen Rohre sich berühren, ist ein pulsierender Druck und ein Schmerzensschrei, der immer wieder durch die Rohre schallt und die Bewohner der Stadt aufweckt. Ein kleines Erdbeben. Die Wissenschaftler des Geologischen Institutes erwarten in den nächsten Tausend Jahren „The big One“, das Große Eine. Die Leute erzählen sich, dass nach einer alten Sage sich der Schlund der Erde öffnen wird, um die Stadt in die brennenden Tiefe der Hölle fallen wird. Es brennt.

Dieser Blog dient der Nutzbarmachung vieler kleiner Ideenschnipsel, ist Ein- und Aufweckung unwillkürlicher Einfälle, soll Inspirationen aufbewahren, stellt eine Werkbank für größere Werke dar, in denen ich das von mir (in und außer mir) gesichtete Wunderland entfalten werde.

Eine Anleitung, um mit heißer Nadel der Inspiration zu stricken. Es muss augenblicklich raus, was in dir gärt und droht über- und damit auszulaufen.

Stückwerk, das immer wieder eingesammelt und wiederverwertet werden kann. Kleine Geschichten als Vorarbeit zu größeren Stories, im Werden und Rückgriff ist erlaubt. Buntes Sammelsurium. was man halt in einem Mäuseloch so findet.

Flügel der Nacht

Die große Tür war versperrt. Das Haus, in dem ich wohnte und das in eine unüberschaubare Anzahl von Zimmern aufgeteilt war, die ich mit Erinnerungen und Wissen vollgestopft hatte, atmete schwer und trug die Last meines Daseins in trauriger Geduld. Ich hatte mich selbst eingesperrt und den Schlüssel in einer trunkenen Nacht irgendwo in meinen tausenden Schubladen, auf meinen zahllosen Schränken oder in irgendwelchen Nischen abgelegt und nie wieder gefunden seitdem irre ich umher über die Flure, suche, finde nichts außer dem Altbestand meiner verschlossenen Seele.

Ich will hier raus.

Süße Stunden verbrachte ich in diesem Haus. Damals lud ich Gäste ein und verbrachte viele süße Stunden in den verschiedenen Zimmern, spielte mit meinen Freunden im Garten oder machte Ausflüge mit dem Automobil.

Das war einmal und ich weiß selber nicht, wie es passieren konnte. Anfangs telefonierten wir noch, ich und die anderen. Auch sie waren allein und zuhaus und sperrten sich ein, weil es hieß, draußen treibe ein Ungeheuer sein Unwesen, eine Art Lovecraft´ches Monster mit vielen Tentakeln. Wir waren sicherer daheim, wir warteten, bis jemand anrufen würde, um zu sagen, der Spuk ist vorbei. Aber niemand rief an und keiner besuchte mich mehr. Ich vergaß die Zeit.

Meine Fäuste hämmerten gegen die verschlossene Tür. „Lasst mich hier raus“, schrie ich. Immer wieder. Bis ich erschöpft vor der Schwelle niedersank und einschlief. Im Traum erschien mir ein Engel. Hoch wie ein Turm ragte er vor mir auf und seine leuchtende Hand ergriff meinen Körper und hob mich nach oben in das Turmzimmer meines Hauses. Ein nasser Lappen, der auf den Dielen auslief, war ich, ich traute mich nicht, in die Augen des leuchtenden Wesens zu schauen. Sein Blick lag auf meinem Rücken. Er brannte. Der Eisenring um mein Herz schmolz und das flüssige Metall floss durch meine Adern, aus meinen Seiten brachen feingliedrige Flügel hervor, die in einem sanften Violettton schimmerten. „Du bist dein eigener Gefangener. Du bist dein Schlüssel“, sprach er und löste sich in glitzernden Umrissen auf. Allein war ich. Mein Körper lag gerade noch willensschwach auf dem Boden, meine Flügel zuckten, ein Ruck und ich richtete mich in der mühelosesten Weise auf wie eine gedrückte Feder von allein in ihre optimale Form zurückkehrt – über die kleine Wendeltreppe konnte ich auf die kleine Dachempore steigen, die Sterne sind meine Zeugen, ich habe Flügel und ich werde sie benutzen, denn sie sind nicht nur Zierde und verkümmern, wenn ich sie nie benutze. „Also spring!“, sprach die Wolke und mein Herz und das tat ich. Der Luftwiderstand unter meinen Flügeln hob mich nach oben und ich erkundete das Land und was von früher noch vorhanden war.

Der rote Vorhang

Die letzte Vorstellung lag jetzt schon Monate zurück. Alles war dicht, über der Stadt lag eine lähmende Totenruhe. Der Vorhang war gefallen und alles, was bisher passiert war in der Geschichte, war als Kapitel abgeschlossen. Zwischen den Zeiten warteten die Leute auf den billigen Plätzen darauf, was als nächstes passieren würde, doch sie hatten keinen Schimmer. Sie waren auf Eis gestellt, im Ungewissen, stocherten im Nebel, ihr Leben war das verlängerte Durchgangszimmer, bei dem die Illusion die Tür immer wieder nach hinten verschob in dem Moment, in dem man sie zu erreichen wähnte. Die neue Welt war im Umbau und sie war noch nicht fertig, denn ihre Baumeister hinter den Kulissen stritten sich über wichtige Details. All das schien die passiven Zuschauer nicht zu kümmern, solange sie wieder ihr Spektakel zu sehen bekamen und sich nicht weiter um ihre Belange kümmern mussten. Aber immer mehr Sitze waren leer, und die Luft im Theater wurde langsam dünn. Vor dem Theater versammelten sich Aufgestandene mit selbstgebastelten Schildern, auf denen sie „Mitbestimmung“, „Demokratie“ und „Freiheit“ forderten, aber sie wurden immer wieder vom Sicherheitsdienst des Theaters vertrieben. Ich stand etwas abseits von dem Geschehen und verglich ständig das Gesehene mit den neu eingeblendeten Berichten des Großen Bruders auf meinem Schlauen-Fernsprechapparat. „Vaterlandsverräter gefährden die Volksgesundheit“, „subversive Elemente untergraben den Ruf unseres hochangesehenen Theaters“, „das widerliche Pack“ und ähnliche Kommentare erzeugten in mir eine merkwürdige Blase, die sich über meine Augen schob und ich konnte das Geschehen nur noch verschwommen erkennen. Leider ließ sich das Schlauphone nie abstellen, und neuerdings konnte man die meisten Dinge nur noch damit bezahlen. Vielleicht auch ein Grund, warum die meisten der Demonstrierenden so ärmlich aussahen. Viele zogen mit gesenktem Kopf und etlichen blauen Augen vom Platz. Die Kameras nahmen alles auf und blendeten auf großen Fernsehbildschirmen in den Straßen und Bahnen die Köpfe der Unzufriedenen ein. „Das ist einer der schädlichen Querköpfe. Er ist dafür verantwortlich, dass sie auf die Wiederaufnahme der Vorstellung noch lange warten müssen.“ Eine große Wut stieg in mir hoch. Zwar konnte ich auch nicht mehr in das Theater zurück, aber mit solchen Menschen wollte ich nun wirklich nichts zu tun haben. Ich bin doch kein Volksverräter. Darum setzte ich mich auf die Parkbank und meditierte eine Weile …

Vom nicht wohin wissen

Es lebt in mir die nicht tot zu schlagende Idee, ich müsse irgendwohin. Ankommen. Zu einem bestimmten Ort gehen und mein Leben so gestalten, dass es diesem gedanklichen Wohlfühlort entspricht. Schwer lastet auf mir das Gefühl, diesen Ort nicht bei mir zu haben, aus ihm verstoßen worden zu sein. Der Lebensflow. Es gibt keinen bequemen Weg, der von der Erde zu den Sternen führt. Das habe ich heute gelesen und es beruhigt mich, zu wissen, dass dieser Weg kein einfacher Spaziergang ist und Rückschläge, die mich von ihm abringen, dazu gehören. Dass die Dinge und Ereignisse nicht ohne mein Zutun zu mir kommen und dass einem im Leben nichts geschenkt wird (und doch mehr, als wir manchmal denken). Denn unter diesem Aspekte verwandelt sich das auf-und-ab des Lebens und der eigenen Kreativität und Schöpferkraft (Synonyme) in einen eigenen Verdienst und weil nicht immer alles von alleine fließt, sind wir immer gefragt, Ingeneure jener Äquadukte zu sein, die schließlich die Ströme eines erfüllten Lebens durch unsere Existenz fließen lassen, aus denen wir unseren Teil schöpfen dürfen. Wir sind als Baumeister gefragt, wir erbauen die Städte, in denen wir leben wollen mit anderen zusammen. Zum Glück habe ich Architekten in meinem Freundeskreis.